Musiktheater "Das Allmachtsrohr"
Von Helena Winkelman (Komposition) und Meret Matter (Regie)
Am 29. Februar 2014 hätte sich der Geburtstag von Adolf Wölfli zum 150. Mal gejährt. Heute gehört der gebürtige Emmentaler - Waise, Verdingkind, Zuchthausinsasse und schliesslich Psychiatriepatient - zu den vielbeachteten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine erstaunliche internationale Karriere ist nicht selbstverständlich. Sie ist zuerst das Resultat eines in jeder Hinsicht aussergewöhnlichen Werkes. Wölfli war Schriftsteller, Dichter, Komponist und Zeichner im Dienste einer Mission: das Leben bzw. die Welt neu zu erfinden. Auf über 25.000 Seiten erschuf er sich eine spektakuläre Kindheit und eine glorreiche Zukunft: die „Skt. Adolf-Riesen-Schöpfung“. Nach seinem Tod wurde es still um sein Werk, bis es 1945 vom französischen Künstler Jean Dubuffet entdeckt wurde.
In dem Musiktheater-Projekt „Das Allmachtsrohr“ wird der genauso berühmte wie kontroverse Berner Art-Brut-Künstler Adolf Wölfli in seiner ganzen vielschichtigen Persönlichkeit wieder zum Leben erweckt.
Es war ein Auftrag des Vereins Wölfli & Musik in Bern.
Wölfli, der sich selbst unter anderem als "Komponist" und "Musik=Diräktohr" bezeichnet hat, hat mit seinen Kompositionen schon zahlreichen Musikern und Musikwissenschaftlern Kopfzerbrechen bereitet: Sind sie bloss dekoratives Beiwerk auf Zeichnungen (auf sechs Notenlinien)? Was steckt hinter seinen vielen in Solmisation aufgeschriebenen Stücken?
Zur Erstellung des Textbuches wurden, bis auf wenige Ausnahmen, Wölflis bekannte zwei Bücher „von der Wiege bis zur Bahre“ verwendet. Die Personifizierung Wölflis als komplexes Wesen bildet einen wichtigen Ansatz der Inszenierung. Seine in rasend–obsessivem Imaginationsfluss entstandenen “Kopfwelten” werden von verschiedenen, sich widersprechenden Wölflis entworfen und bevölkert.
Das sich auf solche Weise äussernde, komplexe Krankheitsbild des Künstlers, die Schizophrenie und der Verfolgungswahn, werden auf der Bühne dadurch interpretiert, dass Wölflis Texte von verschiedenen Sprechern übernommen werden. Damit werden die inneren Stimmen, die Wölfli ein Leben lang umtrieben haben, hörbar und viele von Wölflis Texten werden sofort viel plastischer.
Ein weiteres zentrales Element sind die direkten Auseinandersetzungen und Zwiegespräche zwischen dem zentralen Wölfli-Darsteller, dem Performer Joke Lanz, seinem Psychiater Morgenthaler (Philippe Nauer) und dem Pfleger (Dominik Gysin). Diese Begegnungen verdeutlichen Wölflis innere Zwänge und Nöte besonders stark. Sie wurden von Morgenthaler in seinem berühmten Buch “Ein Geisteskranker als Künstler” sehr genau nacherzählt und wurden auch für das Textbuch verwendet. Aber auch die Mutter, die unerreichbare Geliebte (die Vision eines überhöhten weiblichen Wesens als Projektion), oder Doufi (Wölfli) als Kind bekommen Stimmen.
Diese letztlich vielfach voyeuristische Situation auf der Bühne war Wölfli auch im realen Leben nicht fremd, sagt er doch an einer Stelle:
Grüss Gott Ihr Herr’n und Damen:
Was wollen Sie, bei, mihr?:
Ich bin nicht bei, den Zahmen:
Und doch kein wildes, Thier.
Neben der erstaunlichen, obsessiven Kunst Wölflis in Text und Bild berührt der Abend auch das Thema des Kindesmissbrauchs: nicht nur in Bezug auf den versuchten sexuellen Missbrauch von Seiten Wölflis, sondern auch über den, in der Schweiz des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, allgemein tolerierten Missbrauch von Kindern aus mittellosen Familien als Arbeitskräfte – „Verdingkinder“, deren Schicksal Wölfli teilte.
Komposition/Musikalische Leitung
Helena Winkelman
Regie
Meret Matter
Text
Adolf Wölfli
Textbuch
Helena Winkelman und Meret Matter
Musikalische Ausführung:
Steamboat Switzerland:
Dominik Blum
Hammond
Marino Pliakas
e-bass
Lucas Niggli
Perkussion
Helena Winkelman
Violine (verstärkt)
Karin Dornbusch
Klarinette/Bassklarinette
Schauspielensemble:
Wölfli:
Joke Lanz
Morgenthaler und Wölfli-Stimme:
Philippe Nauer
Pfleger und Wölfli -Stimme:
Dominik Gysin
Personifizierte Wollust/Mutter und Wölfli-Stimme:
Gina Gurtner
Daniel Meyer
Klangregie
Mario Henkel
Lichtregie
Bilder:
Adolf Wölfli
Kostüm:
Ursula Senti
Ausstattung:
Fabian Nichele
Tourneemanagement:
Helena Tsiflidis
Produktion:
Verein Wölfli&Musik Bern